Samstag, 28. November 2009

Das Kreuz

Man hört und weiß ja, daß in Italien allerorten Kreuze hängen, in Schulen, Geschäften, Restaurants - nach dem skandalösen Straßburger Urteil sind es noch mehr geworden. In der deutschen Stadt, in der ich lebe, könnte man hingegen einen Preis ausschreiben: Wer als Erster ein Geschäft entdeckt, in dem ein Kruzifix hängt, bekommt 1000 €, eine Reise nach Rom oder was auch immer. Nun, heute hätte ich gewonnen. Bei meiner Friseurin, im Eingangsbereich, für alle sichtbar: ein großes Kruzifix. Ich hatte sie bisher für eine Muslima gehalten. Heute erfuhr ich, daß sie mit ihrer Familie ihr arabisches Heimatland verlassen mußte, weil sie als Christin ständig unter Repressionen zu leiden hatte. Als sie das erzählte, standen mir fast die Tränen in den Augen. Wir verbannen hier unsere Religion aus dem öffentlichen Raum, stehen ihr gleichgültig gegenüber oder vergessen sie einfach: Und dann kommt eine Frau aus einem Land zu uns, in dem Christen verfolgt werden, und bringt uns das Kreuz zurück. Danke dafür!

Frühreif

Noch vor einer Woche wollte mich Emil , der Dreijährige einer meiner Freundinnen, mit seinem Plastikschwert und seinem Kinderbesen verhauen. Gestern hat er mich schon ganz gentlemanlike mit blauem Eßpapier verwöhnt und mir Kußhände zugeworfen. So schnell kann's gehen. Ich find's ja rührend, wenn so ein Kleiner sich wie ein großer Mann benehmen will. Muß man ihm nur noch sagen, daß nicht alle Mädchen auf blaues Eßpapier stehen - dann wird aus ihm mal ein richtiger Herzensbrecher.

Donnerstag, 26. November 2009

Die Feminisierung des Bildungswesens

... wird ja oft beklagt. Nun habe ich auch einmal ihre praktischen Folgen kennengelernt. Ich wollte einem neunjährigen Jungen den Unterschied zwischen du und Sie erklären. Etwa so:

Ich: "Also, du sagst du zu deinen Eltern, zum Lukas, zu den Jungs im Fußballverein, zu den Jungen und Mädchen in deiner Klasse. Klar?"
Der Junge: "Ja. Sie sage ich zu Frauen."
Ich: "Ähm, nur zu Frauen?"
Er: "Ja, zu der Lehrerin sage ich Sie."
Ich: "Und zu den Lehrern?"
Er (riesiges Fragezeichen im Gesicht): "Lehrer?"
Ich: "Ja, Lehrer, Männer halt, bei denen du Unterricht hast..."
Er (nach einem Augenblick des Nachdenkens): "Ich habe nur Lehrerinnen. Aber das wäre cool. Lehrer."
Ich: "Im Gymnasium kriegst du bestimmt welche. Und was sagst du dann zu denen?"
Er (nach einem noch längeren Augenblick des Nachdenkens, sehr siegessicher): "Er."

Zeitungshonorare

Gerade habe ich über sinkende Zeitungshonorare gegoogelt und dabei einen schon älteren Artikel von Gabriele Bärtels gefunden, mit dem Titel: "Schreiben macht arm." Er hat in mir zwiespältige Gefühle geweckt, trotzdem finde ich ihn insgesamt lesenswert. Der Tonfall störte mich, zu wehleidig, zuviel Jammern und Selbstmitleid. Vom Schreiben für Tageszeitungen kann man heute nicht mehr leben, das weiß man, und darauf stellt man sich ein. Selbst bei den großen Zeitungen sind die Honorare oft lausig, denn die Redaktionen können darauf setzen, daß die Autoren die Referenz zu schätzen wissen: Anspruch und Bezahlung klaffen da besonders weit auseinander. Als freier Autor sollte man also besser eine Mischkalkulation versuchen und sich einen Kundenstamm aufbauen, der vernünftig zahlt.*

Andererseits: schade, daß es so ist. Denn ich wünsche mir Journalisten, die mit Herzblut an ihren Texten schreiben. Die ihren Beruf lieben, investigativ arbeiten, jedem noch so kleinen Hinweis hinterherjagen, jede Information überprüfen, sich an ihren Geschichten festbeißen, idealistisch, manisch, begeistert, störrisch. Deren Geschichten würde ich gerne lesen. Soviel zum Ideal, das von der Realität gründlich zurechtgeschliffen wird. Denn der erfolgreiche Zeitungsjournalist ist heute vor allem ein Profi in Selbstvermarktung, Zeitmanagement, Acquise, Mehrfachverwertung und Verhandlungskunst. Er muß marktwirtschaftlich denken. Dagegen ist nichts zu sagen, es muß so sein, wenn man nicht arm werden will. Doch mit der Zeit bleibt manches auf der Strecke: bei vielen auch das Herzblut. Weil sie sich zerreiben zwischen Selbstmarketing und journalistischem Anspruch.

Denn nicht das Schreiben macht arm. Die Seiten werden immer gefüllt. Aber das saubere Recherchieren macht arm. Das Nachdenken. Das sorgfältige Formulieren. Kreativität, die nicht auf Knopfdruck da ist. Der Wunsch, wirklich zu informieren. Die Zeit, die man für einen guten Artikel braucht. Bei allen Einwänden, die man gegen Gebriele Bärtels Text haben kann: Für gute Recherche wollen viele Redaktionen tatsächlich nicht mehr adäquat zahlen, und wer das leisten will, muß sich überlegen, ob er sich das leisten kann.

Ich habe meine Tageszeitungsabos schon längst abbestellt. Und mein Herz hängt nicht mehr so sehr am Journalismus wie früher. Während ich noch vor zwei Jahren auschließlich davon leben wollte, geht es auch bei mir heute immer mehr in Richtung Mischkalkulation. Genaugenommen: Seit ich erfahren habe, welche Stundenlöhne Texter fordern können. Da hat mich wohl die Wirklichkeit eingeholt.

Und hier noch ein Link, ebenfalls nicht mehr ganz taufrisch: Die Zukunft der Zeitungen - Sparen, bis die Leser gehen

*Es muß übrigens mal anders gewesen sein mit den Honoraren. Ein älterer Freund erzählte mir mal von den Honoraren, die er in den 80ern bekam. Paradiesisch! Heute schreibt er nicht mehr für Zeitungen, wegen der lächerlichen Bezahlung.

Thomas Mann und die Verdrängung

Immer und immer wieder hatte ich es zu Studienzeiten gelesen und gehört - so oft, daß ich es einfach als gegeben hinnahm: die Rede ist von Thomas Manns verdrängter Homosexualität. Aber stimmt das überhaupt? Hat Thomas Mann seine Homosexualität verdrängt? Verdrängung bedeutet, streng nach Freud, daß unerwünschte, bedrohliche oder verbotene Vorstellungen von der bewußten Wahrnehmung ausgeschlossen und in für das Bewußtsein nicht zugängliche Bereiche abgeschoben werden. Geht man von dieser Definition aus, hat Thomas Mann seine Homo- bzw. Bisexualität selbstverständlich nicht verdrängt. Denn es kann nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß er sich seiner Veranlagung vollkommen bewußt war - als Beleg genügt ein Blick in seine Tagebücher oder Werke.

Wieso wird ihm also nachgesagt, seine Homosexualität verdrängt zu haben? Die Literaturwissenschaftler sprechen oder schreiben gelegentlich gar von Thomas Manns "bewußt verdrängter Homosexualität": auf den ersten Blick eine contradictio in adiecto. Doch gemeint ist etwas ganz Anderes: kein Abwehrmechanismus der Psyche, sondern eine bewußte Willensentscheidung. Thomas Mann hat seine Homosexualität nicht ausgelebt, sondern sich für ein bürgerliches Leben als Familienvater und Schriftsteller entschieden. Doch die Vorstellung, daß Menschen ihrer Sexualität nicht willenlos ausgeliefert sind, sie kontrollieren, formen, für sie Verantwortung übernehmen, sie gar etwas Höherem opfern können oder ihr in ihrem Leben einfach keine Prioriät einräumen wollen und sexuelle Erfüllung womöglich nicht für den höchsten Wert halten, ist heute, in unserer übersexualisierten Gesellschaft, höchst unerwünscht. Lieber sieht man den Menschen als Spielball unkontrollierbarer Triebmächte. Wer ein solches Menschenbild vertritt, wird von Thomas Mann freilich vor ein Rätsel gestellt.

Also versucht man, ihn auf die Maßstäbe unserer Zeit zurechtzustutzen. Und spricht nicht von seiner Entscheidung für die Ehe, auch nicht von einer nicht ausgelebten homosexuellen Veranlagung, noch nicht einmal von einer unterdrückten, sondern gleich von einer "verdrängten Homosexualität". Seine bewußte Entscheidung wird damit pathologisiert und umgedeutet zu einem mehr oder weniger behandlungsbedürftigen Mechanismus, einem krankhaften Akt der Verdrängung. Wo freier Wille war, soll nun Krankheit sein.

Wahr ist freilich, daß Thomas Mann in seinem Werk immer wieder beschrieben hat, wie die unterdrückte Triebwelt zurückschlägt und wie der Rausch zu Untergang führt, in der Novelle "Der Tod in Venedig" ebenso wie später in seiner großen Roman-Tetralogie "Joseph und seine Brüder". Doch Thomas Mann selbst hatte sich für ein bürgerliches Dasein entschieden und blieb dabei. Er entging den Gefahren, die er in seinen Büchern beschrieb, er verbannte sie in sein Werk. Wer da von Verdrängung redet, respektiert nicht das Bewußte und Entschiedene dieser Vorgehensweise. So gespalten mein Verhältnis zu Thomas Mann auch ist: Ein bißchen mehr Respekt verdient er schon. Und Freuds Begriffe sollten mit größerer Vorsicht verwendet werden.

Durchhalten

"Unsere Sache steht nie so sehr in Gefahr wie dann, wenn ein Mensch, der zwar nicht mehr das Verlangen, aber doch noch den Vorsatz hat, dem Feind zu dienen, hinausblickt auf ein Weltall, aus dem auch der letzte Schatten Seiner Gegenwart gewichen zu sein scheint, wenn er fragt, warum er verlassen sei, und....trotzdem gehorcht."

Das ist einer der schönsten und trostreichsten Sätze aus C.S. Lewis' "Dienstanweisung für einen Unterteufel" ("The Screwtape Letters", 1942). Er findet sich in einem Brief, den der Dämon Screwtape an seinen Neffen, den Unterteufel Wormwood, geschrieben hat. Wormwoods Aufgabe ist es, einen jungen Mann vom Pfad der Tugend und des Glaubens abzubringen, und sein Onkel gibt ihm Instruktionen. "Unsere Sache" ist also hier die Sache des Versuchers, der "Feind" ist Gott. Die Strategie des Teufels kann nicht aufgehen, wenn der Mensch treu und gehorsam bleibt. Und zwar gerade in Zeiten der Leere und des Zweifels: wenn der Enthusiasmus nach der Bekehrung verschwunden ist und eine erste Ernüchterung eintritt, der "Übergang vom traumhaften Wunschbild zum mühsamen Tun" nicht gelingt, der Glaube an enttäuschten Erwartungen zu zerbrechen droht oder mit Gefühlen verbunden war, die irgendwann nachlassen: Dann ist es wichtig durchzuhalten.

Ich finde es tröstlich, daß Glaube sich nicht an der Stärke eines Gefühls bemißt oder an außergewöhnlichen Erlebnissen, sondern auch hart und trocken sein kann. Denn die Erinnerung an schöne Erfahrungen verfliegt, und Gefühle sind nicht beständig. Beruhigend zu wissen, daß beides nicht notwendig ist. Sondern daß es genügt, gehorsam zu sein und seine Pflicht zu tun. Das ist nicht wenig, aber es rettet einen über Zeiten der Dunkelheit und Leere hinweg.

Mittwoch, 25. November 2009

Noch eine Dystopie

Nicht alle Schriftsteller haben ein solches Glück wie Margaret Atwood, die mit einer wenig plausiblen Zukunftsvision berühmt geworden ist. Denn auch der umgekehrte Fall ist möglich: Eugen Richter hat ein geradezu prophetisches Szenario entworfen - doch niemand erinnerte sich an ihn, als seine Prophezeiung Wirklichkeit wurde. Eugen Richter, ein Politiker und Satiriker, hat in seinem Buch "Sozialdemokratische Zukunftsbilder" die DDR vorhergesehen. Und zwar schon im Jahr 1891. Mit einer Genauigkeit, die erschreckend wirkt: Selbst an Schießbefehl und Republikflucht hat er gedacht. Man hätte also wissen können, was geschieht, wenn die Utopie sich anschickt, Wirklichkeit zu werden. Mehr dazu in der Weltwoche. Richters Buch wurde von Lichtschlag neu herausgegeben und damit glücklicherweise dem Vergessen entrissen.