Mittwoch, 31. März 2010

Diktatur der Normalität

In seinem Buch "Irre! Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen" äußert Manfred Lütz die Befürchtung, daß sich unsere Gesellschaft auf "dem besten Weg zur Diktatur der Normalität" befindet, "die die eigene Unsicherheit mit schlichten Parolen überspielt und alles Abweichende rücksichtslos bekämpft":

",Normal ist leichter Schwachsinn‘, dieser eigentlich nur mit Bezug auf die menschliche Intelligenz geprägte berühmte Satz eines Psychiaters zu Beginn des wahnsinnig gewordenen 20. Jahrhunderts irrlichtert heute voll schillernder Ironie. Die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts haben jedenfalls die Instrumente erfunden und ausprobiert, mit denen man eine solche Diktatur der Normalität umsetzen kann.  Auch wenn sich jene Staatsformen im Kampf der Systeme als zu schwach erwiesen und ihre Inhalte zu Recht auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sind: Dass man eine ganze Gesellschaft mit modernen Methoden uniformieren kann, ist nun für immer im Gedächtnis der Menschheit gespeichert."
(S. 176f.)

Dieses Zitat läßt sich durchaus als Fußnote zu der derzeitigen Medienkampagne lesen, die die Mißbrauchsfälle und ihre Opfer auf skrupellose Weise für den Kampf gegen die Kirche instrumentalisiert und sehr oft nicht bei der Wahrheit bleibt. Sieht man von einigen Ausnahmen ab, beobachten wir eine Uniformierung der Meinung, die beängstigend ist. Sie vollzieht sich (wahrscheinlich) von alleine, ohne eine vom Staat gelenkte Gleichschaltung (auch wenn das manche vermuten), gesteuert höchstens durch interne Auswahlmechanismen: Wer nach oben kommen will, braucht einen bestimmten Stallgeruch usw., wer seine Artikel verkaufen will, hat mehr Erfolg, wenn er bei der Blattlinie bleibt. Doch die Ursache liegt wahrscheinlich noch viel tiefer: Es geht um die Abweichung von der Normalität, die hysterisch bekämpft wird. Die katholische Kirche widersetzt sich dem linksliberalen Zeitgeist, dem Relativismus und Fortschrittsglauben, dem uniformierten Denken, Fühlen und Handeln des heutigen Normalmenschen bzw. Spießers, der im linksliberalen Milieu anzusiedeln ist - dem Milieu, aus dem sich die meisten Journalisten rekrutieren. Die sich steigernde Aggressivität der Kampagnen deutet gewiß auch auf eine tief im Inneren empfundene Unsicherheit hin. Womöglich ahnen selbst die Verteidiger des Relativismus, daß dieser keine gültigen Deutungen zu liefern vermag. Aber das sind nur Vermutungen. Fest steht nur: Selbstzweifel, die in aggressive Abwehr umschlagen, sind nicht nur gefährlich, sondern machen auch jede vernünftige Debatte sehr, sehr schwer.

Dienstag, 30. März 2010

Meine Maschine und ich

Es ist wirklich erschreckend, was für ein inniges Verhältnis ich zu meiner eigenen Büroausstattung entwickelt habe. Zu einem kleinen Netbook gemaugenommen, das mich seit fast zwei Jahren überall hinbegleitet und dafür verantwortlich ist, daß ich meine Handtaschensammlung um einige größere Modelle erweitert habe, in die es hineinpaßt. Alle meine Photos sind auf ihm gespeichert, meine Texte, meine Mails. Und ganz gewiß führt es auf seine eigene maschinenhafte Weise eine Art von Leben.

Jetzt ist es kaputt. Gestern hat sich das Display verabschiedet. Erst hat es geflackert, unter größter Anstrengung hat sich mein Netbook noch einmal für eine Minute gegen seine Krankheit und das Erlöschen seiner Lebenskraft aufgebäumt, damit ich das Konzept, an dem ich gearbeitet habe, auf einem USB-Stick speichern konnte. Danach war alles schwarz. Ich muß mein Netbook also in ein Paket stecken und zur Reparatur schicken, und das macht mir Kummer. Was, wenn es auf dem Postweg verloren geht? Oder schlimmer: In den AGB steht, daß der Hersteller es sich vorbehält, ein defektes Gerät gegen ein "gleichwertiges generalüberholtes" auszutauschen. Das wäre so, als wenn man einem Kind, dessen Meerschwein gestorben ist, ein anderes mit ähnlichem Fell kauft und so tut, als wäre es das alte.

Wenn wir jetzt nicht die Karwoche hätten, würde ich mich erst einmal mit ein paar kleinen rosa Küchlein mit Crème und Marzipanblumen trösten. In diesem Café auf der anderen Mainseite, das eingerichtet ist wie ein Babyzimmer oder ein Puppenhaus, rosa und weiß, mit viel Stoff und Stühlen, die klein wirken, obwohl sie es nicht sind, und das ein riesiges Sortiment an bunten Süßigkeiten hat. Dort sieht man oft Mütter mit Kindern, die aussehen, als hätten sie Meerschweine. Wenn ich so recht darüber nachdenke, hätte es ein solches Café in den 90ern in Deutschland noch nicht geben können. Da war alles aus Stahl und Glas und kalt und nüchtern. Und eigentlich ist so ein Babyzimmer-Café ja auch ein bißchen würdelos, für Erwachsene zumindest. Aber die Küchlein sind einmalig. Café-Besuch fest vorgemerkt, für die nächste Woche.