Freitag, 21. Mai 2010

Mediennutzung

Am Frühstückstisch einer in einem Vorort von London wohnenden achtbaren, obschon reichen Familie ... unterhielt man sich, anstatt wie üblich die neuesten Zeitungsmeldungen zu besprechen, ... über ein Ereignis, das in der unmittelbaren Nachbarschaft vorgefallen war. Man sagt solchen Leuten mitunter nach, sie hätten nichts anderes zu tun als zu klatschen. Aber in diesem Punkt sind sie erstaunlich unschuldig. Auf dem Dorf erzählen sich die Bauern noch wahre oder falsche Geschichten über ihre Nachbarn, aber die merkwürdigen Kulturmenschen der modernen Großstadt, die zwar alles glauben, was in der Zeitung über die Schlechtigkeit des Papstes oder das Martyrium des Königs der Kannibalen-Inseln steht, erfahren in der Aufregung über so viele interessante Neuigkeiten gar nicht, was im Nachbarhause vor sich geht. Die Nachricht aber, die an diesem Tag so viel Aufregung brachte, stammte nicht nur aus der Zeitung, sie betraf sogar die Familie unmittelbar, war doch in ihrem Leib- und Magenblatt der Stadtteil erwähnt worden, in dem sie wohnten. Jetzt erst waren sie etwas, denn der Name ihres Stadtteils hatte in der Zeitung gestanden! Dadurch waren sie genauso gegenständlich und wirklich geworden wie der König der Kannibalen-Inseln.

Das hat Gilbert Keith Chesterton 1927 in der Pater-Brown-Geschichte „Der Mann mit den zwei Bärten“ geschrieben. Bis auf die Tatsache, daß Familien beim Frühstück nicht mehr zusammensitzen, könnte man es heute Wort für Wort wiederholen. Wahrscheinlich trage ich hier Eulen nach Athen, aber ich hab' tatsächlich erst jetzt gemerkt, wieviel theologische Reflexion, wieviele Geistesblitze und ironische Spitzen Chesterton in diesen leichthändig erzählten Geschichten verpackt hat. Aber aufmerksam lesen, sonst verpasst man das Beste! (Das Zitat ist aus: Das schlimmste Verbrechen der Welt. Pater Brown Stories, Diogenes Verlag Zürich 2004, S. 41f.)