Samstag, 3. September 2011

Frau X. und Herr Z.

Frau X. ist eine Dozentin, die ich an der Uni hatte. Sie gehörte zu den wenigen Lehrern, die durch ihre charismatische Art fast jeden für sich einnehmen, und hatte ein großes pädagogisches Talent. Eine beeindruckende Frau, nicht mehr ganz jung, aber gutaussehend, sehr elegant, klug, eine Dame. Plötzlich war sie verschwunden. Sie hatte öfter gesundheitliche Probleme und kam irgendwann nicht mehr zurück. Es ging das Gerücht um, daß sie eine lebensbedrohliche Krankheit hat. Ich fragte bei der Dekanatssekretärin nach, zu der ich einen guten Draht hatte, und erfuhr, daß Frau X. wegen psychischer Probleme nicht mehr arbeiten konnte. Die Sekretärin deutete an, es hätte mit einer Trennung zu tun.

Ich schrieb Frau X. einen Brief mit Genesungswünschen. Etwa ein Jahr später nahm sie mit mir Kontakt auf, was mich sehr überraschte. Sie lud mich zu sich nach Hause ein. Als ich sie wiedersah, hatte ich nicht den Eindruck, daß sie sich verändert hatte, sie war beeindruckend, gutaussehend, charmant und hatte immer noch diese souveräne Ausstrahlung, die jedem sofort auffiel. Sie suchte meine Freundschaft, ich weiß nicht warum. Ich weiß nur, daß sie mich sehr hübsch fand und mich auch deshalb gerne in ihrer Nähe hatte. Das mag oberflächlich klingen, aber es war so.

Sie war bestimmt 30 Jahre älter als ich, aber es wirkte nicht so, als hätte sie mütterliche Gefühle. Im Gegenteil. Sehr schnell war ich in der Rolle derjenigen, die zuhört und tröstet. Ich lernte sie sehr gut kennen. Schon bald sah ich nicht mehr die beeindruckende Dame in ihr, die von den Studentinnen bewundert worden war. Sie war vollkommen kaputt, ihrem Selbsthaß ausgeliefert, von schrecklichen Verlustängsten und starken Stimmungsschwankungen gequält. Ich erinnere mich an ihre übermäßige Trauer, als eines ihrer Katzenbabies gestorben war. Und ich erinnere mich an den Punkt, auf den sie in unseren Gesprächen oft zurückkam: Er hat sie verlassen. Ihr Ehemann, den sie über alles geliebt hat und dem sie immer den Rücken freigehalten hat.

Nach ihren Erzählungen hatten sie eine ganz normale Ehe geführt. Zwei Töchter bekommen, ein Haus gebaut. Natürlich war es nach einigen Jahren nicht mehr wie am Anfang, aber da war eine tiefe Liebe und Treue, zumindest von ihrer Seite aus. Die Trennung kam für sie wie aus heiterem Himmel. Plötzlich eröffnete er ihr, daß er eine Andere liebt. Eine Jüngere. Dann war er weg. Der Klassiker eben. Ein alternder Mann, der seine Jugend zurückgewinnen will, woran ihn einzig und allein die ebenfalls alternde Frau hindert, der er leider seine Treue versprochen hatte.

Frau X. fragte sich immer wieder, was sie falsch gemacht hatte. Irgendwann kreisten fast alle unsere Gespräche um diesen Punkt. Die Trennung, die Gründe dafür. Ich war völlig überfordert, aber ich verstand, daß die Trennung ihr eine Verletzung zugefügt hatte, die nicht heilen kann.

Einige Jahre später ist unser Kontakt abgebrochen. Doch eins hatte sich mir damals eingeprägt: Das Schlimmste, was ein Mann seiner Frau antun kann, ist genau das. Sie nach einer langen Ehe wegen einer Jüngeren zu verlassen. Das Treueversprechen in schweren Zeiten zu brechen. Oder einfach nur, weil es langweilig geworden war. Weil er sich noch einmal ausleben will. Weil junge Haut und straffe Körper verlockender sind. Mir war klar, daß Männer, die sowas tun, charakterlich verkommen sind, und ich niemals etwas mit einem verheirateten Mann anfangen würde. Damals war ich noch Atheistin, doch die Gemeinheit einer solchen Handlungsweise erschließt sich auch jedem aufrechten Heiden.

Später fand ich zu der Religion zurück, die versprach, auf der Seite der Schwachen zu sein. Der Religion, die Heilige hervorgebracht hatte, die sich lieber zu Tode quälen ließen als falschen Göttern oder dem Kaiser zu opfern.

Wenn damals, in meiner atheistischen Zeit oder kurz danach, ein Bischof einen Mann, der seine Frau wegen einer Jüngeren verlassen hat, als guten Katholiken bezeichnet hätte – und dies auch deshalb, weil dieser ein hohes Amt im Staat hat; wenn ich also erfahren hätte, daß ein Bischof aus Opportunismus die unveränderbare Lehre Christi verrät, um sich den Mächtigen (und natürlich auch dem Zeitgeist) an den Hals zu werfen, dann wäre ich heute nicht katholisch. Ich hätte mich vielleicht einer evangelischen Freikirche  angeschlossen. In meiner jugendlichen Urteilshärte hätte ich Verachtung für einen solchen Bischof empfunden. Herr Z. hat zwar nicht Herrn X. als Katholiken bezeichnet, "der seinen Glauben lebt", aber einen Mann, der das Gleiche getan hat und leider das deutsche Staatsoberhaupt ist.

Feminismus hin oder her: Frauen leiden unter dem Verlust ihrer Jugend mehr als Männer. Und wenn ein Mann eine Frau, mit der er ein halbes Leben zusammengelebt hat, wie einen alten Putzlumpen entsorgt, weil er eine Jüngere gefunden hat, tut er ihr unendlich weh. Denn dadurch zeigt er ihr: Alles, was wir zusammen erlebt haben und was du für mich getan hast, kann den Verlust deiner Jugend und Schönheit nicht kompensieren. Ein solcher Mann ist egoistisch und herzlos.

Daß die Kirche unverrückbar auf der Seite dieser Frauen und aller Verlassenen ist, auch der verlassenen Männer, ist ein Trost. Schade nur, wenn irgendwelche lebensfernen alten Männer dies durch ihr verantwortungsloses Gerede verdunkeln.

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